Das „dritte Geschlecht“ und genderneutrale Personalpronomen



Isabelle Sundermann
Was ist deine geschlechtliche Identität, weiblich, männlich oder divers? Welches sind deine Pronomen?
Wie häufig werden einem diese Fragen im Alltag gestellt? – Richtig, so gut wie nie. Dabei sollten wir diese Fragen zukünftig öfter stellen.

Geschlechtervielfalt
Seit zwei Jahren besteht die Möglichkeit, das sog. „dritte Geschlecht“ auf deutschen Personalausweisen eintragen zu lassen. Die verhältnismäßig neue Geschlechtsangabe „divers“ erkennt damit rechtlich an, was von Geschlechterwissenschaftlerinnen wie Judith Butler und Simone de Beauvoir schon lange erkannt wurde: Geschlechter sind vielfältig.

Das Geschlecht, was ist damit eigentlich genau gemeint? Der Begriff des Geschlechts spaltet sich in zwei Untergruppen: Einerseits gibt es das biologische Geschlecht. Dieses wird allein anhand der körperlichen Geschlechtsmerkmale eines Menschen festgestellt und wird in der Geschlechterwissenschaft nach dem englischen Vorbild „Sex“ genannt. Auf der anderen Seite gibt es die Geschlechtsidentität, welche als „Gender“ bezeichnet wird. Gender ist das kulturell-sozial codierte und damit veränderbare Geschlecht. Entscheidend für die Geschlechtsidentität ist daher nicht, ob jemand über bestimmte körperliche Geschlechtsmerkmale verfügt, sondern allein das persönliche Zugehörigkeitsgefühl einer Person zu einem bestimmten Geschlecht und die eigene Empfindung. Generell kann die geschlechtliche Identität entweder mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmen oder auch davon abweichen. Deswegen kann man die geschlechtliche Identität einer Person nicht ohne Weiteres sehen. Aus diesem Grunde sollte nicht vorschnell rein aufgrund äußerer körperlicher Merkmale auf die geschlechtliche Identität eines Menschen geschlossen werden.
Darüber hinaus beschränkt sich sowohl das biologische Geschlecht als auch die gesellschaftliche Geschlechtsidentität nicht nur auf die zweigeteilte, daher sog. binäre Form von „Mann und Frau“. Es gibt verschiedenste Personengruppen, wie zum Beispiel Intersexuelle und Non-Binäre, aber teilweise auch trans Personen, deren geschlechtliche Identitäten und/oder biologischen Geschlechtermerkmale außerhalb der strikten Kategorien „Mann“ und „Frau“ liegen. Die Eintragung des „dritten Geschlechts“ in den Personalausweis steht derzeit übrigens aber nur intersexuellen Menschen zu, also allen Menschen mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen, die nicht ausschließlich männlich oder weiblich sind.

Sprachliche Sichtbarkeit
Hinsichtlich der sprachlichen Repräsentation aller Geschlechter stößt die deutsche Sprache jedoch schnell an ihre Grenzen. Die bestehenden deutschen Personalpronomen „er/ihn“ und „sie/ihr“ sind auf das binäre Geschlechtermodell ausgerichtet. Der geschlechtlichen Identität aller Personen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren, werden die Personalpronomen deswegen in aller Regel nicht gerecht.
Eine einheitliche sprachliche Berücksichtigung aller Geschlechter existiert in der deutschen Sprache derzeit nicht. Das führt dazu, dass ganze Personengruppen damit weitestgehend unsichtbar in der deutschen Sprache sind. Hinzu kommt, dass diese Lücke dazu führt, dass eine Vielzahl an Personen regelmäßig eine unzutreffende geschlechtliche Identität zugewiesen bekommt. Die geschlechtliche Identität dieser Menschen wird dadurch einfach missachtet. Dies macht es für viele genderqueere Personen, die ohnehin oft mit Diskriminierung konfrontiert sind, noch einmal schwerer, die soziale Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität zu erreichen. Ein Blick in andere Länder zeigt, dass andere Sprachen und Gesellschaften in diesem Punkt schon weiter sind. So sind die englischen genderneutralen Personalpronomen „they/them“ und das schwedische Personalpronomen „hen“ bereits einheitlich standardisiert. Dies sorgt gleichzeitig für mehr gesellschaftliche Anerkennung und Sichtbarkeit von genderqueeren Menschen.

Wegweiser
Was kann man aber tun, solange es keine einheitlichen genderneutralen Personalpronomen in der deutschen Sprache gibt? Wie spreche ich eine sich weder als männlich noch weiblich identifizierende Person am besten an?
Die goldene Regel vorweg: Frag dein Gegenüber zu Beginn einfach, welche Personalpronomen zutreffen. Kommunikation ist hier der Schlüsselbegriff. Zweifel und Unsicherheiten können so auf beiden Seiten direkt aus dem Weg geschafft werden. Daneben gibt es bereits eine Reihe von alternativen Pronomen, die zwar noch nicht einheitlich, aber immer häufiger verwendet werden. Die gängigsten Formen sind dabei sier, sie_er und xier, welche eine Mischform aus den männlichen und weiblichen Pronomen darstellen oder auch nin, welches einen geschlechterneutraleren Ansatz verfolgt. Aber auch hier gilt, frag einfach erst einmal nach, welche Pronomen auf dein Gegenüber zutreffen.
Ebenso kann man auf geschlechterspezifische Anreden und Wörter verzichten und anstelle dessen neutralere Begriffe verwenden oder sein Gegenüber einfach bei seinem Namen nennen. Beispielsweise kann man anstatt „Lieber/ Liebe...“ einfach „Hallo...“ sagen.
Auch die immer mehr verbreitete Trennung der männlichen und weiblichen Formen mittels eines Sterns oder Doppelpunkts, wie z.B. Leser*innen/Leser:innen, symbolisiert, dass alle Geschlechter gemeint sind und sorgt damit für mehr Sichtbarkeit und Berücksichtigung.

Darüber hinaus ist die selbstinitiierte Angabe der eigenen Personalpronomen ein hilfreiches Mittel, um für mehr Sensibilität und Bewusstsein für die Geschlechtervielfalt zu sorgen. Gerade in den sozialen Medien geben immer mehr Personen ihre eigenen Personalpronomen zum Beispiel in der Biografie ihres Accounts an. Dies sollte auch auf andere Lebensbereiche und die Arbeitswelt übertragen werden. Beispielsweise hat das Telekommunikationsunternehmen O2 seinen Angestellten kürzlich die Möglichkeit eingeräumt, ihre Personalpronomen auf ihren Namensschildern drucken zu lassen. Auch die allgemeine Angabe der Personalpronomen zusammen mit dem Namen im schriftlichen (E-Mail- ) Verkehr, eindeutigere Sprachleitfäden innerhalb der Firmen, Universitäten und Schulen wären hilfreiche Schritte in Richtung mehr Gendersensibilität.