Sexismus in der LGBTIQ*- Community

Lisann Lechtermann
Keine Tunten, kein Bi, keine Femmes – mit anderen Worten, bitte nicht zu viel Weiblichkeit. Auf den Datingprofilen einiger queerer Menschen findet sich oftmals eine solche Wunschliste vor. Doch wie kommt es, dass auch in einer gesellschaftlichen Gruppe, die gerade für ihre Vielfalt und Aufgeschlossenheit gegenüber der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung von Menschen Sexismus ein Thema ist?

Zunächst einmal belegen eine Reihe von Studien, wie zum Beispiel die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass zwischen Sexismus und LGBTIQ*-Feindlichkeit ein enger Zusammenhang besteht. Die Gemeinsamkeit beider Diskriminierungsformen liegt einerseits in der Abwertung des Weiblichkeitsbildes und andererseits in der Abweichung von dem heteronormativen Männlichkeitsbild. Insbesondere werden die geschlechtliche Identität und die sexuelle Orientierung zumeist von einem Cis-geschlechtlichen und heteronormativen Standpunkt aus betrachtet und bewertet. Abweichungen davon werden vor allem auch als eine bewusste Abwendung von der gesellschaftlichen Norm wahrgenommen, die auf Unbehagen, Unverständnis und zuletzt auch auf Verlustängste hinsichtlich bestehender Machtstrukturen stößt, die sich sodann in diskriminierendem Verhalten äußern. Daraus folgt auch, dass als weiblich wahrgenommene LGBTIQ* Personen Mehrfachdiskriminierung erfahren.

Diese gesellschaftlichen Verhaltens- und Denkmuster sind in uns allen tief verankert, da wir mit ihnen aufgewachsen sind. So ist es letztlich auch nicht verwunderlich, dass diese patriarchalen Strukturen auch innerhalb der LGBTIQ*-Community zum Vorschein kommen und dort für Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Personengruppen sorgen. Ein Indikator ist beispielsweise die noch immer vorherrschende Dominanz von schwulen Männern in der LGBTIQ*-Community, die sich seit Beginn des Kampfes für mehr Rechte von LGBTIQ* Menschen durch die Geschichte zieht. Auf der Suche nach queerer Geschichte findet man sofort Dokumentationen, Magazine, Berichte und politische Organisationen, die den Kampf für mehr Rechte und Anerkennung von schwulen Männern festhalten. Sehr viel weniger Quellen und Material gibt es dagegen zu der Situation von lesbischen Frauen. Schlicht weniger lesbische Frauen als schwule Männer gab es damals wie heute nicht. Grund ist die gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen generell und die daraus folgende Unsichtbarkeit von Lesben. Damals noch viel stärker als heute mussten sich Frauen zunächst in vielen politischen und alltäglichen Lebensbereichen Gehör verschaffen und für ihre Rechte einstehen. In dieser geringen allgemeinen Anerkennung von Frauen war wenig Platz für eine von der Heteronorm abweichenden sexuellen Orientierung. Dass Homo- oder Bisexualität bei Frauen nicht ernst genommen wurde, beweist schließlich auch das in seinen Grundzügen bis 1994 bestehende traurige Verbot von Homosexualität nach dem damaligen § 175 Strafgesetzbuch. Dies stellte nur gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten zwischen Männern unter Strafe. Und auch wenn in diesem speziellen Fall die Unsichtbarkeit von lesbischen Frauen ihnen im strafrechtlichen Sinne bedingt zugutekam, denn Verfolgung und Unterdrückung von homosexuellen Frauen gab es dennoch, so wirkt sich das Grundproblem auch heute noch auf den Alltag von lesbischen Frauen aus. Medial sowie politisch sind sie deutlich weniger repräsentiert als schwule Männer. Daraus folgt, dass ihre Interessen immer noch weniger gehört und wahrgenommen werden. Beispielsweise werden nach wie vor viel mehr Daten bezüglich der Gesundheit, der Gewalterfahrung und weiterer Themen über homosexuelle Männer als Frauen erhoben. Und auch in vermeintlich weniger wichtigeren Belangen steht weiterhin der schwule Mann im Fokus: In vielen Städten gibt es zwar reihenweise Bars und Veranstaltungen für Schwule, von denen zwar in der Regel auch andere LGBTIQ* Personen nicht explizit ausgeschlossen sind. Einen richtigen Raum oder Veranstaltungen für Lesben, in welchen diese nicht nur lediglich mitmachen dürfen, findet man aber deutlich seltener vor. Dabei ist der peer to peer Erfahrungsaustausch, das Zusammenkommen und letztlich auch die Möglichkeit zum Dating für lesbische Frauen, insbesondere in den jungen Jahren, genauso wichtig und stärkend, wie für alle anderen Personen, egal welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Orientierung.

Auch Trans-, Nicht-Binäre oder Intergeschlechtliche Personen erfahren Diskriminierungen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität, die von der Cis-Geschlechtlichkeit abweicht und damit nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, wonach die körperlichen Geschlechtsmerkmale die Geschlechtsidentität bestimmen. Dabei beruht die Pride-Bewegung – der Kampf für mehr Rechte und Anerkennung von LGBTIQ* Personen – maßgeblich auf dem durch Transpersonen initiierten sog. Stonewall Inn Riot auf der Christopher Street in New York City. Obwohl alle LGBTIQ* Personen heute vermutlich ohne den über Jahre hinweg hartnäckigen Einsatz und die Beteiligung von Transpersonen deutlich schlechter gestellt wären, wird die geschlechtliche Identität von Transpersonen nach wie vor von Cis-geschlechtlichen Männern und Frauen unabhängig der sexuellen Orientierung nicht als vollwertig erachtet.

Letztlich ist Sexismus aber nicht nur ein Problem, das sich zwischen den verschiedenen Personengruppen der LGBTIQ* Community austrägt, sondern auch im Rahmen dieser. Schwule Männer, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ihrer Verhaltensweise weiblicher gelesen oder wahrgenommen werden, werden vermehrt auch von denjenigen homosexuellen Männern diskriminiert, die nach außen hin eher dem heteronormativen Männlichkeitsbild entsprechen. Lesbische Frauen, die als dem heteronormativen Frauenbild entsprechend wahrgenommen werden, leiden oft unter dem Vorwurf mangelnder Homosexualität im Vergleich zu anderen Lesben. Auch bisexuelle Frauen erfahren Ausgrenzung, da ihnen teilweise von homosexuellen Frauen oder auch von homo- und heterosexuellen Männern unterstellt wird, nicht „richtig“ auf das gleiche Geschlecht im sexuellen Kontext zu stehen. Man wirft ihnen vor, letzten Endes doch, wie eine heterosexuelle Frau eine Beziehung zu einem Mann haben zu wollen.

Wir alle sind also von sexistischen Denk- und Verhaltensstrukturen durchdrungen, egal welchen Geschlechts, sexueller Orientierung oder Herkunft. Im Sinne aller und einer inklusiveren, offeneren und vielfältigeren Gesellschaft gilt es also gemeinsam an einem Strang zu ziehen, sich selber stets auf sexistisches Verhalten und verinnerlichter Frauenfeindlichkeit zu überprüfen und diesen bewusst entgegenzutreten.